Alte Gemäuer und Ostalgie: Usedom bietet mehr als die "Kaiserbäder"
von Christian Röwekamp, gms

Über Polen geht die Sonne auf. Goldfarben schimmert sie durch die Gardine, die im warmen Wind flattert. Es scheint wieder ein schöner Tag zu werden auf Usedom - eigentlich genau das richtige Wetter für einen langen Spaziergang entlang der Ostsee oder für das entspannende Strandleben in den "Kaiserbädern" Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin.
Doch heute soll der Strandkorb an der "Pommerschen Riviera" ausnahmsweise mal verwaist bleiben. Denn Deutschlands zweitgrößte Insel bietet mehr als einen 40 Kilometer langen feinsandigen Strand - auch das Hinterland lockt zu Ausflügen.

Die Bäderarchitektur aus der Zeit um 1900 ist im Rückspiegel bald verschwunden, es geht zunächst in Richtung Nordwesten. Wer nach Peenemünde will, muss diese Strecke fahren. Dort, wo im Zweiten Weltkrieg die deutsche Wehrmacht ihr Raketenversuchsgelände betrieb, ist heute ein Informationszentrum zu finden, das über die Geschichte dieser "Wiege der Raumfahrt" aufklärt - mit all ihren dunklen Seiten samt des Todes Tausender Zwangsarbeiter.
Doch auch wer bald hinter Bansin die Bundesstraße verlässt und sein Auto gen Süden steuert, darf sich auf einen interessanten Tag freuen - zum Beispiel auf den Besuch im Schloss Mellenthin.

Das 1575 errichtete einzige Wasserschloss Usedoms liegt am Ende einer Allee und blickt auf eine sehr wechselvolle Geschichte zurück: Schweden und Preußen, adelige und bürgerliche Besitzer kamen und gingen, seit 1949 gehört das Gemäuer der Gemeinde. Genutzt wurde es zu DDR-Zeiten als Kindergarten und Kneipe - heute betreibt hier der Schlossverein Mellenthin ein Heimatmuseum.

Für drei Mark Eintritt können neben Linolschnitten und Aquarellen der Künstlerin Christiane Hartwig (1901 bis 1985) auch Exponate zur Schlossgeschichte sowie für die Region typisches Mobiliar angeschaut werden, das Bürger aus dem Umland seit 1994 zusammengetragen haben. "Die historische Einrichtung ist 1945 mit den Russen verschwunden", erzählt Lothar Brandenburg vom Schlossverein.

Der 59 Meter hohe Golm, eine der höchsten Erhebungen Usedoms und vor 1945 mit der Gaststätte "Onkel Toms Hütte" ein beliebtes Ausflugsziel, ist Deutschlands größte Kriegsopferstätte. In der Stille des abgelegenen Waldfriedhofs wird der Schrecken des Krieges heute noch deutlich, wenn auch die einzelnen Grabkreuze und Gedenksteine weitgehend entfernt wurden und die Gräberfelder unter einer weiten Rasenfläche verschwanden, als 1975 ein Beton-Mahnmal des Rostocker Bildhauers Wolfgang Eckard auf dem Golm errichtet wurde.

Auf dem Weg zurück Richtung Westen lohnt sich ein Abstecher nach Dargen - im Zweiradmuseum dieses kleinen Dorfes kommen vor allem "Ostalgiker" auf ihre Kosten. Bestaunt werden kann fast jedes Roller- und Motorrad-Modell, das in der DDR gebaut wurde: Vom 3,6 PS starken Zweitaktermotorrad Simson S 51 aus Suhl über die 130 Stundenkilometer schnellen Volkpolizei-Motorräder aus den frühen achtziger Jahren bis zu den Motocross-Maschinen des DDR-Serienmeisters Heinz Hoppe. Dazu kommen Traktoren und Pkw aus Ost-Produktion und viele andere «Erinnerungsstücke» vom DDR-Personalausweis über NVA-Orden bis hin zum Erich-Honecker-Porträt.

Mehr als 20 000 Besucher werden pro Jahr in der etwas ungeordnet wirkenden Sammlung gezählt, "viele Gäste bieten uns auch Stücke aus ihrem Besitz an", sagt Sibylle Heuer vom Museumsverein. Geöffnet ist die Ausstellung in den Hallen einer ehemaligen bäuerlichen Handelsgenossenschaft täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr, Erwachsene zahlen sechs Mark Eintritt, ermäßigte Karten gibt es für vier Mark.

Die Folgen des Zweiten Weltkriegs sind auf Usedom nicht nur auf dem Hügel Golm noch besonders sichtbar, sondern auch in Karnin. Hier im Südwesten der Insel, wo der Peenestrom aus dem Stettiner Haff abzweigt und das vorpommersche Festland besonders nahe ist, steht die Ruine der 1945 gesprengten Eisenbahnbrücke. Die Hubbrücke ermöglichte Ende der dreißiger Jahre eine Fahrtzeit von Berlin nach Heringsdorf in zwei Stunden und 36 Minuten - heute braucht die Bahn über Wolgast für die gleiche Verbindung vier Stunden und 21 Minuten, sagt Joachim Evers, der Leiter des Informationszentrums, das der Verein Usedomer Eisenbahnfreunde im ehemaligen Bahnhof von Karnin eingerichtet hat.

Ziel des Vereins, der 1990 die endgültige Beseitigung der Brücke verhinderte, ist langfristig die Wiedereröffnung der alten Strecke. Aus der Ferne betrachtet wirkt die Hubbrücke mitten im Strom zwar ein wenig verrostet, doch "95 Prozent der Stahlteile und der Kern des Fundaments sind noch in Ordnung. Das war für die Ewigkeit gebaut"», sagt Evers. Dass die alte Eisenbahnverbindung Usedom tatsächlich ein wenig helfen könnte, stellt der Tagesausflügler auf dem Weg zurück in die "Kaiserbäder" dann zumindest Sonntagabends rasch fest: Kilometerlang ist auf der B 110 der Rückstau der Autofahrer in Richtung Anklam, die nach einem Wochenende an der Ostsee über eine der zwei derzeit bestehenden Brücken Usedom wieder verlassen wollen.

Informationen:

Tourismusverband Insel Usedom, Bäderstraße 4, 17459 Ückeritz
Fax: 038375-22152, Service-Tel. rund um die Uhr: 01805-873366

Schloss Mellenthin, täglich von 10.00 bis 24.00 Uhr geöffnet
Auskünfte beim Schlossverein unter Tel. 038379-20313.

Interessengemeinschaft Gedenkstätte Golm
Hauptstraße 39, 17419 Zirchow, Tel.: 038376-20287

Museumsverein für Zweiräder der ehemaligen DDR
Bahnhofstraße 1, 17419 Dargen, Tel.: 038376-20290

Das Infozentrum im historischen Bahnhof Karnin,
täglich von 10.00 bis 17.00 Uhr geöffnet, Eintritt frei.
Weitere Auskünfte unter Tel.: 038372-71446.

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